Das Projekt Campus Galli birgt in wissenschaftlicher Hinsicht eine Vielzahl an Herausforderungen. Das 9. Jahrhundert ist archäologisch und historisch deutlich schlechter dokumentiert als die Zeiträume davor und danach:
Mit der Christianisierung im Frühmittelalter setzt die Beigabensitte aus, in den Gräbern ist demnach wenig aus dem Alltag der Menschen erhalten. Noch bei den Alamannen des 6. Jahrhunderts werden Alltagsgegenstände wie Trinkgefäße, Kerzenständer und sogar ganze Betten mitbestattet, bei den Franken (Karolingern) ist dies nicht mehr der Fall.
Die historischen Schriftquellen setzen mit dem Ausbau der Klöster in der Zeit der Karolinger verstärkt ein, widmen sich aber kaum dem Alltag, sondern konzentrieren sich auf die Taten von Herrschern (z.B. Einhards Biographie Karls des Großen), das Wirken von Heiligen oder waren theologischen oder liturgischen Fragen gewidmet.

Aus Bildquellen wie dieser Szene aus dem Stuttgarter Psalter, lassen sich wertvolle Informationen zum Handwerk ableiten.
Letztere, insbesondere der Goldene Psalter von St. Gallen, der Stuttgarter Psalter oder der Utrechter Psalter zeigen als gestalterische Elemente und als bildliche Umsetzung der Inhalte oft auch Szenen aus dem Alltag der Menschen. Auch die erzählenden Texte in der Stiftsbibliothek St. Gallen und der Urkundenschatz im Stiftsarchiv nehmen bei den Schriftquellen des 9.Jahrhunderts eine herausragende Stellung ein. Um zu beurteilen ob es sich dabei um realitätsnahe Darstellungen und Schilderungen handelt und wie diese zu bewerten sind, bedarf es umfangreichen Fachwissens.
Neben den „Alltagsfragen“ zu Handwerk, Landwirtschaft und Bekleidung sind auch kirchengeschichtliche und bauhistorische Fragen ein wichtiger Bestandteil der Hintergrundarbeit bei Campus Galli. Dabei gilt es, eine konkrete und realisierbare Lösung zu finden, auch wenn die Quellenlage zuweilen keine eindeutige Entscheidung zulässt. Ein reales Bauprojekt benötigt aber genau jene definitiven Entscheidungen, die im Spannungsfeld zwischen den technischen Möglichkeiten und der geistigen Welt des 9.Jahrhunderts einerseits, und der Umsetzbarkeit und den Vorschriften des 21.Jahrhunderts andererseits zu suchen sind.
Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass wir mit unserem Wissenschaftlichen Beirat eine Gruppe von Fachleuten an der Hand haben, die ihr Wissen aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen einbringen. Erst im Diskurs zwischen Archäologie, Klosterplanforschung, Geschichte, Kirchengeschichte und Museumswesen ist es möglich, Lösungen auch für diejenigen Fragestellungen zu finden, für die einer einzelnen Disziplin keine ausreichende Quellenlage zur Verfügung steht.
Der Gewinn für die Wissenschaftler besteht darin, dass unser Projekt im Arbeits- und Planungsalltag Fragen aufwirft, die Forschungslücken offenbaren, sowie in der Möglichkeit, Hypothesen zur Funktionalität von Werkzeugen und Gerätschaften zu testen.